Die Einsteinsche Relativitätstheorie zog Künstler unterschiedlichster Herkunft seit ihrer ersten Bestätigung im Jahre 1919 in den Bann. Walter Gropius wandte sich einzelnen Aspekten der Theorie in seiner Vorlesung über „Raumkunde“ im Wintersemester 1921/22 am Bauhaus zu und entwickelte besonderes Interesse für das Äquivalenzprinzip von Masse und Energie (E = m c2). Das gleiche gilt für den niederländischen De Stijl-Künstler Theo van Doesburg, der sich mehrere Monate in Weimar aufhielt. Gerade in Deutschland sah er sich herausgefordert, das neue, durch die Relativitätslehre entworfene Verständnis von Raum und Zeit im Hinblick auf die bildenden Künste auszuloten. Die Ergebnisse seiner Erkundungen präsentierte van Doesburg in Form eines Essays und öffentlicher Vorträge, die er im Frühjahr 1922 in Weimar, Jena und Berlin hielt.
Parallel dazu vertiefte er den Kontakt zu jenen Künstlern, die ähnliche Fragestellungen verfolgten, sei es auf dem Gebiet des Films, der Malerei, der Plastik oder der Architektur. In dem Kreis um die in Berlin herausgegebene Kunstzeitschrift „G“, dem Hans Richter, El Lissitzky, Werner Graeff und Mies van der Rohe angehörten, stießen van Doesburgs überlegungen auf großes Interesse. Den Erkundungen der Künstler zu Fragen von Raum und Zeit kamen die Arbeiten des Jenaer Physikers Felix Auerbach entgegen, der 1924 ein Buch mit dem Titel „Tonkunst und bildende Kunst vom Standpunkte des Naturforschers“ publizierte. Die Schrift verdankte ihre Entstehung den künstlerischen Neigungen des Physikers, so wie sie umgekehrt die physikalischen Interessen der Künstler am Bauhaus in Weimar widerspiegelt, mit denen er freundschaftlichen Umgang hatte. Sein Buch lieferte ihnen in allgemeinverständlicher Form die sachlichen Grundlagen für die angestrebte Integration naturwissenschaftlicher Tatsachen, unter denen Raum und Zeit schon deshalb herausragende Bedeutung zukam, weil sie bis dahin als fundamental geschiedene Seinssphären von bildender Kunst und Musik galten.
Die abstrakten Einsichten der theoretischen Physik, die sich der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen entziehen, bedurften der übersetzung in verständliche Denkbilder und anschauliche Formen, wenn sie im Werk eines Künstlers Geltung erlangen sollten. In diesem Näherungsprozeß spielte der Maler Paul Klee eine herausragende Rolle. Denn er amalgamierte das Raum-Zeit-Kontinuum der theoretischen Physik mit Denkbildern der romantischen Naturphilosophie, die in der paradoxen Figur kulminierten, dass Zeit fließender Raum, Raum erstarrte Zeit sei.
Vor diesem Hintergrund sahen sich die Architekten vor die Aufgabe gestellt, die künstlerischen Mittel zu ersinnen, dass der Raum als ein fließendes Medium anschaulich werden konnte. Sollte die Zeit als mit dem Raum unlösbar verwobene vierte Dimension Niederschlag in ihren Arbeiten finden, mußte sie aus den Gestaltqualitäten des gebauten Raums hervorgehen. Die Wahrnehmung, dass der architektonische Raum in Fluß gerät, ist an Bauformen gebunden, die sich im Schwebezustand der Häuser, im offenen Grundriß und im Aufbrechen der raumabschließenden Wand bestimmen lassen. Diese Prinzipien spielte Mies van der Rohe im Entwurf des Landhauses in Backstein erstmals durch und steigerte sie einmal mehr mit der Errichtung des Hauses Tugendhat in Brno. Nur unter der Bedingung, dass Innen- und Außenraum ein Kontinuum bildeten, konnte es den Künstlern gelingen, dem dreidimensionalen Raum ein Surplus abzuringen, das für die Zeit einstehen konnte.